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Ab ins Gelende – Skifahren in den japanischen Alpen

Abfahrt bis ins Abteil

Tokyo liegt auf dem gleichen Breitengrad wie Gibraltar. Dort käme niemand auf die Idee, in 300 m Höhe eine unbeschneite Skipiste anzulegen. Aussichtslos – zumindest bis der Golfstrom zusammenbricht.

In Japan sieht das anders aus. Die Sommer sind zwar ähnlich heiß wie im Süden Europas. Die Temperaturen im Winter ähneln aber eher denen in Deutschland. Und während es dabei im Raum Tokyo sehr trocken bleibt, bekommen die Westküste und die Gebirgszüge im Landesinnern reichlich Niederschläge ab: Je nach Ort fallen in einem Jahr durchschnittlich über 30 Meter Schnee.

Und der ist besonders, heißt es unter sportiven Globetrottern. Drei Skitage in zwei Regionen sind für eine belastbare Analyse natürlich keine ausreichend große Stichprobe. Es gibt aber bislang am Schnee überhaupt gar nichts zu bemängeln. Und wenn er zu warm wird, schmilzt er auch in Japan. Nur dass hier eben meist sehr schnell Ersatz vom Himmel fällt.

Die Anreise mit dem Auto ist nervig, aber dank 30 Euro Maut immerhin fast staufrei. Die 200 km schafft man bei großzügiger Auslegung der Tempolimits in dreieinhalb Stunden. Schneller geht es mit dem Zug. Die Joetsu-Schnellzüge halten im Erdgeschoss der Gondelstation von Gala Yuzawa. Quasi ein Ski-nkansen.

Keine Werbepausen

Was mir an meinem ersten Skitag sofort auffiel, ist die Ruhe. Nun ist die White World Oze Iwakura mit elf Liftanlagen nicht der Arl- sondern eher der Feldberg. Dennoch: Kein DJ Ötzi, der schon morgens über den Parkplatz an der Gondel schallt. Kein sorgfältig inszenierter BMW Quattro, der einen auf der Bergstation empfängt. Nein, es gibt gefühlt überhaupt keine Werbung. Stattdessen fährt man in Seelenruhe durch den Wald, der auf dieser Höhe oft noch aus Laubbäumen besteht.


Wie zum Beweis für die mindestens halbwegs intakte Natur streiften bei meiner allerersten Gondelfahrt zwei zottelige Waldbewohner direkt unter uns durch den Schnee. Ich vermute, dass es Marderhunde waren. Was die wohl zu dem durch-kommerzialisierten Auftritt einer alpenländischen Ski-Arena sagen würden?

Deutsche Lehnwörter überall

Auch ohne Zillertaler Schürzenjäger und bajuwarische Geländesportwagen sind die japanischen Wintersportgebiete jedoch nicht frei von deutschsprachigem Einfluss. Deutsche Lehnwörter sind allgegenwärtig.

So informiert spätestens beim Verlassen der Bergstation eine Tafel über das „Gelande“. Ja, so oder auch mal „Gerende“ nennt man in Japan den Pistenplan.


Wer die Herausforderung sucht, fährt hier die „Riesen“. Was ich zunächst für eine Riesenslalom-Piste hielt, stellte sich recht schnell als unpräparierte Abfahrt mit Riesen-Buckeln heraus. Die eine Abfahrt durch den Wald heißt „Märchen-Course“, die andere „Edelweiss“.

Auch den Bergrestaurants dient der Alpenraum bei der Namensgebung als Vorbild. Der Skisportler hat hier die Wahl zwischen „Horn“ und „Alp“. Und auf den Unterkünften an der Talstation prangt mitunter der Zusatz „Hyutte“. Dass ein Bergrestaurant „Köln“ heißt, finde ich gleichermaßen schön wie skurril.

Die Anfänger: Unschön, aber ungefährlich

Normalerweise gehen Japaner ungern Risiken ein. So sind sämtliche Pisten eines Gelendes mit Länge, maximaler und durchschnittlicher Steigung angegeben. Das Blau, Rot und Schwarz der Alpen reicht dennoch nicht aus. In Japan kommen noch eine orangene Kategorie für Verbindungen ohne Unterhaltungswert (a.k.a. „Ziehwege“) sowie eine grüne Kategorie für Anfänger hinzu. Auch die Liftboys gehen immer auf Nummer sicher. An allen Ein- und Ausstiegen gibt es ständig Hilfestellung. Selbst die Skier werden einem mitunter in die Halter an der Gondelkabine gehoben.


Die Wintersportler ticken in Japan aber offenbar ganz anders als der Rest der Gesellschaft. Auf den Pisten und unter den Sesselliften liegen regelmäßig Dutzende Anfänger herum, denen man wirklich ein paar weitere Stunden auf dem Kinderhügel empfehlen würde. Dazu passt, dass fast niemand einen Helm trägt. Zur Verteidigung muss ich einwenden, dass ich in drei Tagen keine Zusammenstöße, keinen Helikopter und lediglich einen kleinen Einsatz der „Patrol“ gesehen habe.

Betagte Lifte und Hütten

Das ganze Skigebiet wirkt, als hätte sich seit der Eröffnung 1973 nichts mehr verändert. Im Gegenteil: Die rüstigen, aber eben unverkennbar auch rostigen Sessellifte tragen stolz den Zusatz „Romance Lift“. Ohne Sicherungsbügel, dafür mit seichter japanischer Popmusik am Einstieg kann man hier noch ganz romantisch aus dem Lift fallen.

Die Skilehrer tragen natürlich noch stolz die Jacken, die sie als Freiwillige bei den olympischen Winterspielen in Nagano 1998 erhalten haben. Ich würde mich jedoch nicht wundern, wenn die Bekleidung von Sapporo 1972 auch noch ordentlich im Schrank hängt.

Das Festhalten am Bewährten hat für den Kunden auch Vorteile. Der Tages-Skipass ist mit knapp 40 Euro noch einer der teureren in Japan. Die alten, kleinen Lifte schaufeln zudem nicht so viel Publikum nach oben, sodass vor allem die steileren Pisten (ohne die Anfänger-Gemetzel) oft menschenleer sind.

Auch viele Unterkünfte sehen aus, als hätten sie mehr als drei zähe Pandemie-Jahre hinter sich. Das Interessante daran: Es passt. Das 150 Jahre alte Bauernhaus, in dem wir mit den Kollegen untergekommen sind, entspricht mit Etagenklo (natürlich ein Washlet) ziemlich exakt dem Ausstattungsniveau einer Tiroler Berghütte. Statt am Kachelofen wird hier eben am Kotatsu gezecht. Und durch das ganze Haus, für dessen Energieeffienzbewertung unser Alphabet bei weitem nicht ausreicht, wabert der aromatische Duft zahlreicher Kerosin-Heizer.

Gemeinsam liften? Ungern.

Urig ist es also. Après-ski hingegen sucht man in Japan bis auf wenige Ausnahmen vergeblich. Die meisten Japaner teilen nicht einmal die Gondel mit Fremden – sondern stehen lieber länger an, um dann alleine in den Sesselift zu steigen.

Niemand scheint daran Anstoß zu nehmen – bis die Großmeister des „aktiven Anstehens“ die Bühne betreten. Zwar halten wir uns im Alltag als Ausländer fast immer an sämtliche Sitten und Gebräuche. Aber die Zillertal-Urlaube zur Hochsaison schüttelt man nicht einfach so ab. Und schneller als sich der einzelgängerische japanische Wintersportler hinsetzen kann, hat er schon ein paar Begleiter im Lift.

Einen guten Überblick zu den japanischen Skigebieten gibt es bei Japan Skiguide.

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