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Die Schriftzeichen in Japan erklärt

“Hefte raus, Klassenarbeit!”

Na gut, ganz so schlimm wird es nicht. Aber wir müssen mal über die japanische Schrift reden, beziehungsweise schreiben. Den ersten Fehler habe ich damit schon gemacht: Denn die japanische Schrift gibt es gar nicht, sondern genau genommen vier. Zeit, für ein bisschen Ordnung zu sorgen.

Bunte Schilder mit unterschiedlichen Schriftzeichen nachts in Shibuya
Quelle: Mona & Christian Wittmann

Kanji – Besuch aus China

China, Japan – ist für mich alles eins.” Über diesen Satz vom Kapo des Umzugsunternehmens kann ich vermutlich erst lachen, wenn unsere Möbel in Yokohama und nicht in Shanghai angekommen sind. Was der Herr vermutlich nicht auf dem Schirm hat: Bei den Schriftzeichen liegt er damit gar nicht soweit daneben wie im Völkerrecht.

Irgendwann zwischen dem 3. und 5. Jahrhundert haben die chinesischen Schriftzeichen ihren Weg nach Japan gefunden. Sie kamen, um zu bleiben. Die Schriftzeichen werden in Japan als kanji 漢字 bezeichnet, was “Schrift des Han-Volkes” bedeutet und ein direkter Verweis auf die damalige Han-Dynastie in China ist.

Die Kanjis sind Logogramme. Jedes Zeichen steht dabei für einen Begriff und enthält keine Information zur Aussprache. Die Zeichen schöpfen sich aus (Kombinationen von) über zweihundert Radikalen, die ursprünglich Bildnisse waren. Ganz selten sind die Ursprünge noch zu erahnen.

Der Ursprung des chinesischen Schriftzeichens für "groß": Ein Mensch mit ausgebreiteten Armen.

Bedeutung: groß

jap. Aussprache:
ōkī oder dai

chin. Aussprache:
da

Natürlich haben die Japaner mit dem Sprechen nicht erst gewartet, bis jemand mit diesen praktischen Zeichen vorbei kam. Deswegen haben die Kanji meist mindestens zwei Aussprachen, die je nach Zusammenhang Anwendung finden. Und natürlich sind nicht alle Kanji so einprägsam wie das erste Exempel. Beispiel gefällig?

Das Emoji für "Kalender"

Bedeutung: Wochentag

jap. Aussprache:
yoo

Das sind schon unangenehm viele Striche, oder? Insgesamt sind mehrere zehntausend Kanji bekannt. Dass für die Zeitungslektüre bereits 3.000 “ausreichen”, ist ein schwacher Trost.

Die Japaner sprechen die Schriftzeichen nicht nur anders aus als die Chinesen. Sie haben sich auch einige hinzukombiniert. Außerdem liefen die Vereinfachungen der Schriftzeichen nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan und dem kommunistischen China anders ab.

Japaner finden sich daher am ehesten in Taiwan, Hongkong und den chinesischen Communities in Singapur, Bangkok oder Malaysia zurecht, die noch die traditionellen chinesischen Schriftzeichen nutzen. Das wechselseitige Verständnis zwischen Japan und der chinesischen Volksrepublik hingegen ist – nicht nur im Bezug auf die Schrift – eingeschränkt.

Hiragana – Japanisch wie man’s spricht

Wie praktisch, dass es immerhin auch eine japanische Silbenschrift gibt. Die funktioniert zwar auch nicht ganz wie unser Alphabet, aber fast. Hiragana wurde ca. 800 n. Chr. entwickelt und bildet mit knapp 50 Schriftzeichen alle Silben der japanischen Sprache ab.

In der japanischen Schrift werden Kanji und Hiragana leider gemischt eingesetzt, nämlich Kanji für die Nomen und den Wortstamm des Verbs und Hiragana für den grammatischen Teil. Aber einfache Ausdrücke kommen oft ohne oder mit wenigen Kanjis aus. An Schildern gibt es mitunter kleine Hiragana-Hinweise zu jedem Kanji. Und auch Sprachschüler wie ich fangen erst einmal mit den Hiraganas an.

konnichiwa

Katakana – Die Ursünde der Sprachvermittlung

Die Japaner haben nicht nur eine Silbenschrift, sondern zwei. Katakana ist quasi der kantige Bruder der Hiragana und fast genauso alt. Diese Schrift wird genutzt, um ausländische Begriffe und Lehnwörter zu kennzeichnen. Beides lieben Japaner, sodass sie quasi verschwimmen. Beispiel?

ビー
ru

arubaito

Mit bīru ist tatsächlich das köstliche Brauerei-Erzeugnis gemeint. Arubaito (das u geht Richtung ü, ist aber fast stumm) stammt tatsächlich von “Arbeit” ab, bezeichnet aber eher abwertend einen (Neben)job.

Das ist erstmal sehr praktisch, denn überall wo man Katakana erspäht, winkt für den englischsprachigen Ausländer ein schnelles Verständnis. Aber die Sache hat leider drei Haken:

  1. Die Japaner nehmen es nicht so genau damit, nur ausländische Wörter in Katakana zu schreiben. Die Schrift wird mitunter auch als Stilmittel eingesetzt, um Marken ein weltläufiges Auftreten zu geben. Oder einfach durch ein Missgeschick.
  2. In Katakana gibt es dieselben ca. 50 Silben wie in Hiragana, womit sich längst nicht alle Wörter auf diesem Planeten abbilden lassen. Den Japanern ist es egal. So wird die Reinigung zur kuriningu und die baden-württembergische Landeshauptstadt zu Shuto~uttogaruto. Das ist erheiternd bis anstrengend.
  3. Leider ist die Katakana-Schrift mit ihrer begrenzten Auswahl von Silben das Grundgerüst der Fremdsprachenerziehung in Japan. Die Schülerinnen und Schüler lernen Englisch und Co. daher in dem Glauben, dass es jenseits des japanischen Inselreichs auch nur die bekannten Silben, aber mitunter recht komplizierte Wörter gibt (s. das obige Stuttgart-Massaker). Sie können einem leidtun.

Romaji – Versöhnungsversuch mit dem Westen

Zum Glück für den verzweifelten Neuling in der japanischsprachigen Welt ist eine weitere Schrift hier sehr verbreitet: Rōmaji, also die römische bzw. lateinische. Wenn auch das Entziffern der nächsten Haltestelle in Hiragana so langsam gelingt, liest sich der Netzplan in unserem Alphabet doch noch um einiges entspannter. Und wenn dann auf einem Werbeplakat doch mal wieder nur Blödsinn steht, hat man immerhin einen günstigen Lacher:

Werbeanzeige für Neubauten in einem Nahverkehrszug mit dem Schriftzug "My World Fitting Likes"

War noch etwas? Aber ja. An einigen Kanjis kommt man hier einfach nicht vorbei. Da sind dann sämtliche Hilfsmittel erlaubt, um im Alltag zurechtzukommen.

Wenn wir die nasse Wäsche in unserem Ofuro aufhängen, muss das entsprechende Lüftungsprogramm eingeschaltet werden. Auf dem riesigen NASA-Schaltpult ist mir das nicht immer gelungen. Seitdem ich weiß, dass der Wind durch den Wurm in der Schutzhütte dargestellt wird, ist aber nix mehr schiefgelaufen.

Bedienpult der Badezimmerl¨ftung mit vielen chinesischen Schriftzeichen

Bedeutung: Wind

jap. Aussprache:
kaze oder kazā

chin. Aussprache:
feng

Ein Gedanke zu „Die Schriftzeichen in Japan erklärt“

  1. ReinhildT

    Nach diesen Ausführungen bewundere ich umso mehr eine bereits verstorbene Tante, die an unserem Gymnasium Deutsch, Englich und Französisch unterrichtet hatte. Sie begann im Alter von 66 Jahren noch Japanisch zu lernen, damit sie einen ehemaligen japanischen Studienkollegen, der Wirtschaftswissenschaftler in Japan war, besuchen konnte.
    Sie war in ihrer Aufgeschlossenheit, ihrer Weitsicht und ihrem Wesen lange Zeit Vorbild für mich!
    Hut ab auch vor Eurem Mut und Eurer Neugier, sich auf eine solch fremde Kultur mit allen Aspekten einzulassen.
    Freue mich auf weitere interessante und humorvolle Berichte!
    LG Reinhild

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