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Ein langes Wochenende in Kyoto

Im September gibt es in Japan ein paar Feiertage. Bei einem Urlaubsanspruch von zwölf Tagen muss man die natürlich ausnutzen. Außerdem ist das Wetter gerade sehr angenehm und entspricht in etwa einem schönen deutschen Sommer. Also steige ich am Freitagmorgen aufs Rad, während Karin mit dem Großteil unseres Gepäcks im Zug nach Neu-Yokohama fährt. Ab dort geht es gemeinsam mit dem Shinkansen weiter. Mein Rad verschwindet vorher innerhalb weniger Minuten im Rinko-Bukuro und tritt dann als Gepäck getarnt die Reise an. 

Die ca. 450 km bis Kyoto spult der Super-Express routiniert in knapp zwei Stunden ab. Von dem 15. Taifun der Saison, der während der Fahrt über uns hinwegzieht, lässt sich das Wahrzeichen des japanischen Verkehrswesens jedenfalls nicht beeindrucken.

Kyoto war über 1000 Jahre lang die Hauptstadt Japans. Von Bombardierungen größtenteils verschont, gilt die Stadt mit ihren 1,4 Mio. Einwohnern als ein bedeutendes Zentrum der japanischen Kulturgeschichte. Davon ist nach Ankunft erst einmal nichts zu spüren. Vom riesigen Bahnhof geht es durch Straßenschluchten in Richtung des Hotels, bzw. zum nächstgelegenen Fahrradparkplatz (mit 70 ct/Tag eher günstig). Die schachbrettartige Anlage der Stadt hilft bei der Navigation ungemein.

Unser Hotel ist nagelneu und trotzdem sehr günstig. Der Haken: Da der Tourismus in Japan noch immer ziemlich brach liegt, fühlt sich einiges noch nach Probebetrieb an. An den tollen Terminals, die die Aufgaben der Lobby übernehmen sollen, funktioniert jedenfalls kein einziger Prozess (Check-In, Check-Out, Gepäckaufbewahrung buchen). Ein Jahr nach Eröffnung ist das für ein Hotel einer namhaften Kette schon erstaunlich.

Wir machen uns aber eh gleich wieder auf den Weg für einen ersten Stadtspaziergang. Im Gegensatz zu Tokyo fällt nicht nur der quadratische Stadtplan auf. Auch die Menschen sind anders: Sie sind lebhafter – was noch lange nicht bedeutet, dass sie lebhaft wären. Und sie hupen – auch da kommen sie jedoch noch lange nicht an die Italiener oder gar Inder heran.

Aus der Betrachtung des spazierenden Touristen sind etwa 70% der Stadtfläche buddhistische Tempelanlagen und 40% Shinto-Schreine. Den Rest teilen sich historische Holzhäuser mit Kakigoori-Verkauf. Dazu kommen auf der vierten Hauptstraße noch Starbucks-Filialen im Abstand von ca. 100 m. Entlang der Hauptstraßen überwiegen Hochhäuser mit einem Dutzend Stockwerken. Biegt man in die Seitengassen ab, findet man sich schlagartigen zwischen zweistöckigen Holzhäusern wieder. Auf diese Art wirkt die Stadt gleichzeitig größer und kleiner als die Bevölkerungszahl von 1,4 Mio. vermuten lässt.

Jenseits des Kamo Fluss, den wir mit Hilfe der berühmten Gion-bashi überqueren, gibt es fast nur noch Altstadtgassen und religiöse Stätten. Dort haben sich auch die Buddhisten einen der besten Ausblicke auf die Stadt gesichert.

Am Samstagmorgen heißt es früh aufzustehen. Wie radeln nach Arashiyama und klettern auf einen der dortigen Hügel. Es wartet ein Treffen mit ein paar entfernten Verwandten. Nach dem Besuch dieses Affenparks habe ich an gewöhnlichen Zoos vermutlich keinen Gefallen mehr. Die Kameraden tollen hier einfach in ihrem natürlichen Habitat im Wald herum. Eine Annäherung ist unter den Augen der Ranger bis auf zwei Meter möglich. Die einzige Ausnahme davon ist die Futterhütte: Dort begibt man sich als Mensch (!) in den Käfig und darf die Japan-Makaken am Gitter füttern – ein großes Vergnügen für die ganze „Familie“.

Danach radeln wir weiter zum Haus der Familie Ohara. Das sind Freunde von Karin, die uns zum Mittagessen eingeladen haben. Zum ersten Mal bin ich in einem echten japanischen Haus zu Gast. Das 60 Jahre alte Prachtwerk des Zimmermanns- und Schreinerhandwerks begeistert ebenso wie das Sushi, das wir nach Anleitung der Hausherren  zusammenbauen. Im Anschluss radeln wir noch ein wenig durch Kyoto und sehen uns weitere Tempel an.

Auch der nächste Tag beginnt mit einer Tempelbesichtigung zum Aufwärmen. Wobei… falsch! Der Fumishi Inari-Taisha ist ein Schrein. Den Unterschied erkennt ein Laie wie ich am einfachsten an den roten Holztoren, die es dort gibt. Beim Fumishi Inari-Taisha stehen sogar eintausend Stück davon. Wie zu den besten Zeiten des römisch-katholischen Ablasshandels werden diese teilweise von Privatleuten und überwiegend von Unternehmen gestiftet, die sich davon eine bessere Geschäftsentwicklung erhoffen.

Wir nehmen uns vor, diese „Investitionsmaßnahme“ bei der nächsten Gelegenheit beim unternehmens-internen Ideenmanagement einzureichen und fahren mit dem Zug ca. 40 km weiter nach Nara. Von dieser kleinen Großstadt wurde im Jahr 784 die Regierung ins nahe Kyoto verlegt. Seine zahlreichen Tempel und Schreine durfte Nara jedoch behalten.

Und zu diesen gehören ein Stück weit auch die Sikahirsche, die an diesem Ort als heilig gelten. Da sie von den Bewohnern und Besucher nichts zu befürchten haben, sondern – im Gegenteil – großzügig umsorgt werden, haben sie im Laufe der Jahrhunderte ihre Scheu komplett abgelegt. Vergleichbar mit indischen Kühen ziehen sie zu hunderten durch die Parks und Straßen, lassen sich mit speziellen Keksen füttern und streicheln.

Mittags stärken wir uns bei der Okonomiyaki-Oma. Die ältere Dame, die in einer kleinen Gasse die köstlichen japanischen Pfannkuchen zubereitet, haben ich spontan so genannt. Das Gericht gehört zu unseren Lieblingsessen in Japan. Da verzeiht man auch die miese Luftqualität in der Gaststube, deren kleine Abluftanlage mit der zeitgleichen Braterei an mehreren Tischen deutlich überfordert ist.

Am Montag müssen wir leider schon wieder die Heimreise antreten. Vorher fahren wir aber noch mit der historischen Eisenbahn nach Kameoka. Diese verkehrt seit 120 Jahren auf ihrer atemberaubenden Strecke durch die Torokko-Schlucht. Die Japaner nennen solche historischen Bahnen “Romantic Train” – eine Bezeichnung, die mir angesichts der harten Holzbänke und der lauten Dauer-Ansprache des Zugführers vermutlich nicht eingefallen wäre.

Die Rückreise mit den modernen Zügen starten wir danach am Bahnhof von Arashiyama. Wir lassen spontan zwei Züge ohne uns losfahren, als wir das Fußbad an Gleis 2 entdecken. Für umgerechnet 1,50 Euro kaufen wir ein kleines Handtuch und dürfen noch etwas entspannen. Angesichts des Chaos, das die Deutsche Bahn regelmäßig im Personenverkehr anrichtet, gehört so eine Einrichtung eigentlich an jeden deutschen Bahnhof.

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