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Immer noch verwirrend

Mehr als ein Jahr in Japan. In keinem anderen (Aus)land habe ich mehr Zeit verbracht. Da läuft doch bestimmt alles wie am Schnürchen? Klar, möchte ich antworten. Wären da nicht die kleinen Dinge, die einen immer noch durcheinander bringen:

X heißt Nein, rot bedeutet frei

Mein erstes Anmeldeformular im Hotel habe ich zweimal ausgefüllt. Beim ersten Versuch hatte ich ein Raucherzimmer gewünscht. Warum das der Dame vom Frontdesk auffiel? Nun, ich hatte mich gleichzeitig auch als Frau registriert, die zudem auf einen Rollstuhl angewiesen und von jeder erdenklichen Allergie der Welt betroffen ist. Kurzum: Alle Angaben in dem Formular waren falsch. Das kann passieren, wenn ein Kreuz „Nein“ und ein Kreis „Ja“ bedeutet. Und ab und zu passiert es immer noch.

In Zügen und bei Taxis wartet eine ähnliche Falle: Rot bedeutet frei, grün ist reserviert.

Klopapier auf Raten

Viele der höflichen japanischen Formulierungen im Alltag verstehe ich immer noch nicht. Brav nicken und durchziehen ist dazu eine vielversprechende Taktik. Das klappt natürlich nicht bei offenen Fragen. Bei Kartenzahlung fragen die Kassierer beispielsweise häufig, in wie vielen Raten man zahlen möchte. Auch wenn man nur Klopapier für umgerechnet drei Euro ersteht. Da ist die Verwirrung vorprogrammiert.

Softdrinks kosten nichts

In der Herstellung zumindest. Wasser, Zucker und ein wenig Chemie. Japanische Convenience Stores sind diesbezüglich sehr ehrlich. Das Zeug kostet bis auf wenige Cent in allen Größen das Gleiche. Faszinierend, aber auch verwirrend für einen Gast aus einem Land, in dem ein halber Liter Wasser am Flughafen auch mal vier Euro kostet.

Die meisten Restaurants arbeiten nach der gleichen Strategie: Wer einmalig for die „Drink Bar“, darf sich am Automaten so viele Soft Drinks nehmen, wie er möchte.

Unsichtbar am Zebrastreifen

Rücksichtnahme ist in Japan eine wichtige Tugend. Das gilt scheinbar überall, außer am Zebrastreifen. Entgegen der Vorschrift halten Autofahrer am Fußgängerüberweg meist nur widerwillig. Schulkinder bekommen beigebracht, einen Arm zu heben, um den Wunsch auszudrücken, die Straße zu überqueren. Vielleicht ist das also auch nur eine Art Rücksichtnahme – in Richtung des Mächtigeren.

Der berühmteste aller Zebrastreifen in Japan. Mit Ampeln, für eine sichere Überquerung.

Der Außerirdische

Stellt euch vor, ihr steigt in die Bahn und darin sind nur Japaner. Irre? Stimmt, aber so langsam habe ich mich daran gewöhnt.

Auf der Gegenseite scheint das anders. Manchmal gucken mich beim Einsteigen wirklich alle an. Und nicht immer liegt es daran, dass ich im Frauenabteil bin.

Anscheinsbrot

Der deutsche Gaumen ist immer noch regelmäßig verwirrt über die hiesige Diskrepanz beim Backwerk: Japaner können perfekten Blätterteig, aber bekommen kein Brot mit Kruste hin.

Die Optik stimmt sogar, aber das „Brot“ fühlt sich stets so an wie Schaumstoff. Es ist wie bei den Felslandschaften im Freizeitpark. Vielleicht schmecken letztere sogar besser. Da lobe ich mir auf jeden Fall Karins neues Hobby – unseren eigenen Sauerteig.

Ein Fall für die Notabgabe

Huch, so spät noch Besuch? Nein. In Japan klingelt der Paketbote auch schon mal am Sonntagabend um halb acht. Die Damen und Herren haben Arbeitszeiten, die man im Rest der Welt höchstens in der Notaufnahme kennt. In Deutschland klingeln die Paketdienste ja mitunter gar nicht, sondern werfen sofort die berühmte Benachrichtigung ein. Können wir uns vielleicht irgendwo in der Mitte treffen?

„Public Road“ ist sehr oft das Einzige, das das Navi zu einer Straße in Japan sagen kann.

Where the streets have no names

Viele, auch gar nicht so kleine Straßen, haben keine Namen. Das japanische Adresssystem gliedert sich in Blöcke, also die Bereich, die von (mitunter mehreren) Straßen eingerahmt werden. Straßennamen werden dafür nicht benötigt.

Where the streets have no Baustellenampeln

Die Japaner bauen oft und gerne. Aufgrund der sehr kleinen Grundstücke wird dabei meist auch ein Teil der Straße blockiert. Manchmal sind es auch Arbeiten an den oberirdisch laufenden Strom- und Telefonleitungen, die für Einschränkungen sorgen.

Diese Arbeiten werden in Japan generalstabsmäßig geplant. Hier stellt niemand einfach seine Mulde in die Straße. Immer dabei: zwei bis drei ältere Herren mit Reflektorweste und Leuchtschwert, die den Verkehr regeln. In 15 Monaten und mehreren tausend Kilometern auf japanischen Straßen bin ich Hunderten von ihnen begegnet – und nur einer einzigen Baustellenampel. Ein Unikat, quasi. Warum sich die Technik-affinen Japaner diesem Hilfsmittel derart konsequent verweigern, weiß ich bis heute nicht.

Müllabfuhr und Fahrrad-Opis

In einem Land, in dem Roboter das Sushi zubereiten (und immer häufiger auch nach Hause bringen), kann man davon ausgehen, dass die Müllabfuhr motorisiert ist. Falsch. Die meisten Fuhren werden zwar tatsächlich von unzähligen, kleinen Lkw durchgeführt werden, die dazu durchgängig niedliche Melodien abspielen. Aber regelmäßig streifen ältere Herren durch die Straßen und sammeln mit mehr oder weniger dafür ausgelegten Fahrrädern Papier- oder PET-Müll ein – in offizieller Funktion.

Für die Damenwelt gibt übrigens es eine ähnlich anachronistische Beschäftigung: Als „Yakult-Frauen“ bringen sie bis heute per Fahrrad den gleichnamigen Trinkjoghurt von Tür zu Tür. Für Menschen, denen die durchschnittlichen 200 Meter zum nächsten Konbini zu weit sind, ist das vielleicht ein attraktives Angebot. Ob bzw. wie sich der Dienst rechnet, ist mir aber nicht bekannt.

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