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Wie kriminell ist Japan?

„Pass‘ gut auf dich auf!“, bekommt man zuverlässig zu hören, wenn man sich bei der Familie vor einer Reise verabschiedet. Ob es sich um den Kirmesbesuch im Nachbarort oder den dreiwöchigen Backpacker-Trip in Südostasien handelt, spielt dabei gefühlt fast gar keine Rolle.

Ernsthafte Sorgen, Opfer von Kriminalität zu werden, habe ich mir bislang nicht gemacht. Bei einem mehrjährigen Aufenthalt lohnt es sich aber, ein paar Informationen dazu zu sammeln, was einen da so erwartet.

Meine Meinung steht fest.
Bitte verwirren Sie mich nicht mit Fakten!

Bevor wir also in den nüchternen Zahlen herumwühlen

https://www.puttygen.net/

, gibt es erstmal den subjektiven Eindruck der ersten sechs Wochen: Japan ist ein sehr sicheres Land. Wie ich darauf komme?

Wahrnehmung und Kuriositäten

Keine wilden Polizeifahrten

Wenn man durch die Stadt läuft oder im sechzehnten Stock auf dem Balkon sitzt, hört man häufig von irgendwo ein Martinshorn (das vermutlich hier nach einem anderen Heiligen benannt ist). Aber: Es sind ausschließlich Krankenwagen, die sich den Weg durch den Verkehr bahnen. In der ganzen Zeit hier habe ich bislang einmal (!) ein Polizeiauto im Einsatzmodus gesehen, in Stuttgart mehrmals am Tag.

Kinder fahren alleine U-Bahn

Auf einem meiner Streifzüge durch die Tokyo kam ich mit ein paar Schuljungen ins „Gespräch“. Sie erzählten stolz, dass sie in der zweiten Klasse sind und bereits 200 Kanji beherrschen (sowie ein ordentliches Grundniveau der englischen Sprache). Ich war völlig perplex, als ich realisierte, dass sie mit ihren zehn Lebensjahren jeden Tag ca. eine Stunde mit Nahverkehrszügen zur englischen Schule in die Stadt pendeln. Das beinhaltet Umsteigen an Bahnhöfen, die in ihrer Größe alle Drehkreuze in Deutschland übertreffen. Wer die Risikoaversion der Japaner kennt, weiß, wie sicher sie sich bei der Aktion sein müssen.

Geldtransporte zu Fuß

Jeder hat vermutlich schon einmal diese Sicherheitsdienste in Deutschland gesehen, die mit einem schusssicheren Transporter und Pistole am Halfter irgendwo die Bargeldbestände abholen oder anliefern. In Japan holen zwei mehr oder weniger unbewaffnete Herren zu Fuß (!) die Geldkassetten der Ticketautomaten am Bahnhof ab.

Zwei Männer mit Fahrradhelmen holen Bargeld aus einem Ticketautomaten ab

Sitzplatzreservierung per Wertgegenstand

Fingers crossed, aber bislang bin ich auf allen meinen Reisen von Taschendiebstahl verschont geblieben. Im Zweifelsfall habe ich die Wertsachen in die vorderen Hosentaschen verfrachtet, die idealerweise noch einen Reißverschluss haben. Taschen eng am Körper tragen, verschließen, und so weiter… ihr kennt die Tipps.

Hier in Japan scheint derlei Gefahr nicht zu drohen. Im Gegenteil: Mit einigen Erstaunen musste ich feststellen, dass die Menschen hier ihre Taschen, Smartphones etc. nutzen, um sich schon vor dem Bestellvorgang einen Platz im Café zu reservieren. In vielen europäischen Städten wäre das gleichbedeutend mit dem Eigentumsverzicht. Hier jedoch passiert – nichts. Außer, dass man mit dem Kaffee in der Hand ziemlich sicher keinen Sitzplatz findet, wenn man es nicht so praktiziert.

Eine Geldbörse liegt unbeobachtet auf einem Tisch im Café

Kein Wellness für Wannabe-Gangster

Dass es allerdings auch in Japan Kriminelle gibt, die mitunter organisiert sind, habe ich beim Besuch der örtlichen Therme gelernt. Denn dort informiert ein Schild darüber, dass Besucher mit Tattoos vom Badebetrieb ausdrücklich ausgeschlossen sind. Einen ähnlichen Hinweis fand ich wenige Tage später am Eingang des internationalen Sportbads in Yokohama. Was hat es damit auf sich?

Ein Schild im Eingangsbereich der Therme schließt Besucher mit Tattoo aus

Tattoos haben in Japan zwar eine Jahrtausende alte Tradition, sind aber auch bei der hiesigen Mafia, den Yakuza als großflächige Erkennungszeichen sehr beliebt (Das ist beachtlich, denn im Mittelalter wurden Kriminelle in Japan mitunter noch von der Judikative mit Tattoos geächtet). Im Rahmen der jüngsten Anti-Korruptions-Kampagnen und um den Badbesuchern den Schrecken zu ersparen, sich plötzlich inmitten (vermeintlicher) Gangster wiederzufinden, wurden daher fast überall entsprechende Verbote erlassen.

Auch bei der Eröffnung eines Bankkontos musste ich übrigens bestätigen, dass ich kein Gangster bin. Wie praktisch für die Bank, die damit vermutlich ihrer Verpflichtung zum Vorgehen gegen die organisierte Kriminalität schon vollumfänglich nachgekommen ist.

Alarm für Koban 11

Mein erster Eindruck ist hier also: Eher Bullerbü als Breaking Bad. Wenn man in Japan allerdings einmal die Hilfe der Polizei benötigt, muss man nicht lange suchen: An jedem Bahnhof gibt es kleine Polizeihäuschen, Koban genannt. Die Beamten helfen rund um die Uhr – sei es im Notfall oder über die Aufnahme von Anzeigen. Selbst bei Navigationsschwierigkeiten, die sich in Japan mit seinem Block-basierten Adresssystem häufig ergeben, sind die (unbewaffneten) Polizisten ausdrücklich zuständig.

Übrigens, mein erstes, ungeplantes Koban-Experiment läuft zur Zeit noch. Auf einer Rennradtour habe ich mein Fahrrad-Cover verloren, das für den Transport in der Bahn benötigt wird. Auch um solche Fundsachen kümmern sich die Kobans. Und so hoffe ich auf einen baldigen Anruf der örtlichen Polizei.

Der Koban in Hiyoshi

Die Herangehensweise, die öffentliche Sicherheit in kleinen Rastern statt mit großen Revieren zu gewährleisten, ist in Japan fast so alt wie das Polizeiwesen selbst. Mittlerweile setzen auch weitere Länder auf diese Strategie, was die Vermutung erhärtet, dass sie erfolgreich ist.

Kriminalität in Zahlen

Die Statistik scheint die subjektive Einschätzung zu bestätigen, dass Japan ein sehr sicheres Land ist.

Sie führt in Japan pro Jahr ca. 4 Gewaltdelikte je 100.000 Einwohner auf. In Deutschland sind es hingegen knapp 200. In den USA, in denen ich meine bislang längsten Auslandsaufenthalte verlebt habe, liegt die Zahl noch einmal doppelt so hoch. Dort werden mehr Menschen getötet als in Japan überhaupt Gewalt erfahren. Auch die Zahl der Wohnungseinbrüchen liegt Japan bei nur etwa einem Drittel der deutschen und einem Zehntel der US-amerikanischen Vorfälle.

Der Straßenverkehr ist in Japan nur geringfügig sicherer als in Deutschland. In beiden Ländern werden jährlich 4,1 von 100.000 Einwohnern bei Verkehrsunfällen getötet. Die Verletztenzahl ist in Japan etwas geringer. Beide Werte sind in den USA drei- bzw. zweimal so hoch.

Die Gründe für die geringeren Werte sind vielfältig. Und nicht zuletzt sind Statistiken nicht 1:1 vergleichbar und nur so gut wie die Grundlage, auf der sie erstellt werden. In jedem Fall sind die Strafen deutlich höher als in Deutschland. Fahren unter Alkoholeinfluss wird mit bis zu 5 Jahren Arbeitslager und umgerechnet 6.000 Euro bestraft. Dazu wird der Führerschein eingezogen sowie Ausländern in der Regel abgeschoben. Bei Laden- oder Taschendiebstahl sind die Strafen ähnlich.

Licht und Schatten

Also alles gut in Japan? Bestimmt nicht.

  • Die Yakuza haben ihre Aktivitäten auch nach der Verschärfung der Strafverfolgung nicht eingestellt. Sie bedienen Berichten zufolge weiterhin in allen bekannten, mafiösen Geschäftsfeldern.
  • Die Methoden der Polizei und Gerichte werden auch nicht immer den Menschen gerecht: Die Tatsache, dass fast alle polizeilichen Verhöre in Japan mit einem Geständnis enden, sollte nicht nur Kriminologen stutzig machen.
  • Nicht erst seit der Corona-Pandemie haben sich große Teile des Lebens und Handels ins Internet verlagert. Wie in vielen Ländern nehmen Betrugsdelikte in diesem Zusammenhang auch hier zu.

Das immer noch äußerst patriarchalische Japan ist leider auch berüchtigt für sexuelle Gewalt gegen Frauen. Das reicht von Belästigung am Arbeitsplatz, “Grapscher” in überfüllten Nahverkehrszügen bis hin zum Menschenhandel. Dass die vielen im Süden stationierten US-Soldaten gleichermaßen die Sicherheit Japans unterstützen, bei Vergehen (nicht nur gegen Frauen) jedoch von Militärgerichten milde bestraft werden, sorgt seit Jahren für Spannungen in der Bevölkerung.

Auch Japan ist also noch nicht das friedliche Paradies. (Auch) als Ausländer lebt man hier jedoch vergleichsweise sicher.

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