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Ein Wochenendtrip nach Deutschland

Das Inseldasein bringt eine Reihe an Vor- und Nachteilen mit sich: Die Versorgung mit frischem Fisch und Meeresfrüchten ist hervorragend, Dafür ist man regelmäßig von Stürmen und Tsunamis bedroht. Der Grenzschutz wird durch einige hundert Kilometer Hochsee erheblich vereinfacht. Für die Beziehungspflege mit den Nachbarn und der Außenwelt gilt das Gegenteil. Zumindest den letzten Punkt möchten einige junge Japaner aber optimieren.

Während man aus Deutschland auf der Klassenfahrt mit dem Reisebus bequem ein gutes Dutzend Länder erreicht, ist ein ähnlicher Trip für Japaner zeitaufwändig und wird mit dem fortschreitenden Absturz des Yens auch immer teurer. Man muss aber nicht gleich zu den Methoden der Massiven Töne greifen. Das Unternehmen HelloWorld schickt japanische Schüler kurzerhand zu den Ausländern, die in Japan wohnen.

An diesem Wochenende haben wir zum dritten Mal Besuch auf diese Art. Mei und Sakura, zwei 14-jährige Schülerinnen, die wie wir in Yokohama wohnen, sind für 24 Stunden unsere Gäste.

Ich hab kein Cent ich bin blank
Hab kein Geld auf der Bank
Ich bin total abgebrannt
Doch ich nehm’ deine Hand
Und ich mach mit dir ’ne Traumreise
Indem ich den Globus dreh
Und mit dem Finger drauf zeige

MASSIVE TÖNE

Im Gegensatz zu den letzten Runden, bei denen wir die jungen Japaner einfach an “unserem” Bahnhof abholen konnten, gibt es dieses Mal sogar eine kleine Entsendungsfeier. Dort stellt zunächst der Gründer und Leiter von HelloWorld seine Initiative vor. Als nächstes spricht eine Mitarbeiterin der Schulbehörde und erklärt in nahezu akzentfreiem Englisch, wie wichtig das Lernen dieser Fremdsprache für die Schülerinnen und Schüler ist. Schließlich betritt ihr Chef die Bühne und sagt das Gleiche noch einmal auf Japanisch, da er kein Englisch spricht. Zu guter Letzt bekommen die Teilnehmer noch allerhand Empfehlungen von unterschiedlichem Wert: “Don’t be afraid, to make a mistake!”, aber auch “Let’s keep tidy!”.

Danach ist es endlich Zeit für das Kennenlernen. Falls sie es nicht schon vorher waren, haben die Reden, Anweisungen und nicht zuletzt die Fotografen unsere beiden Schülerinnen ordentlich eingeschüchtert. Mehr als ihre Namen und jeweils eine Freizeitbeschäftigung bringen sie nicht heraus – auf Englisch wohlgemerkt, denn das ist ab jetzt Pflicht.

Auf dem Weg zu uns nach Hause tauen die Beiden aber schon deutlich auf. Wir wechseln ein paar Worte über das kalte Wetter und empören uns darüber, dass die Blue Line heute fast zwei Minuten Verspätung hat. Nachdem wir ihnen die Wohnung gezeigt haben, kochen wir zusammen eine Kürbissuppe. Dazu gibt es hausgemachtes Sauerteigbrot, das den beiden ebenfalls gut schmeckt. Voller Erstaunen studieren sie dann, wie ich auf mein Brot noch etwas Butter schmiere – ein Akt, der sich selten so bedeutsam angefühlt hat.

Am Nachmittag geht es raus an die heute besonders frische Luft. Die Todoroki-Schlucht ist in der Tokyoter Sommerhitze eine grüne Oase. Jetzt im Herbst zeigen sich die Bäume in allen möglichen Farben. Danach gibt es eine Stärkung mit Apple Pie und Heißgetränken. Nicht in einem der unpersönlichen Café-Ketten in den Einkaufszentren. Sondern im Mini-Café Punk Doily, das ein Australier auf dem Dach eines kleinen Mehrfamilienhauses in der Nähe betreibt.

Das Abendbrot ist für unsere Gäste vermutlich die größte Herausforderung: Denn es ist kalt. Sie nehmen es mit Fassung – und sind auch noch gut gesättigt vom Nachmittag. Das Dashimaki-Tamago, ein japanisches Omelette, das ich dazu reiche, besteht zu meinem Stolz die kritische Prüfung durch unseren Besuch.

Danach werfen wir einen Blick in unser Fotoalbum aus Deutschland. Die Ansichten von Neuschwanstein stechen vermutlich auch in tausend Jahren noch alle anderen sehenswerten Orte aus.

Auch unsere Besucherinnen erzählen ein wenig aus ihrem Leben. Von den Aufnahmeprüfungen für die High School, die in zwei Monaten anstehen. Dem happigen Schulgeld, das fällig wird, wenn es mit der Bewerbung an der bevorzugten, öffentlichen Schule nicht klappt. Und der Hausrenovierung, die sich ihre Eltern dann nicht mehr leisten können. Puh, auf diesen gerade einmal 14 Jahre alten Schultern lastet schon ein riesiger Druck.

Für die weitere Abendunterhaltung ziehen die Mädels das Tac-Spiel dem Puzzlen vor. Deutsche Gesellschaftsspiele – ein weithin unterschätzter Exportschlager! Wir setzen kurz die Pflicht zur englischen Sprache aus und übersetzen mit DeepL die wenigen Spielregeln ins Japanische. Dann kann es auch schon losgehen. 

Tac ist gemein, es ist die Fortsetzung von Mensch-ärgere-Dich-nicht mit anderen Mitteln. Ich hatte vermutet, dass junge Japanerinnen dafür viel zu höflich sind. Falsch gedacht. Schon nach kurzer Zeit lachen sie triumphierend, wenn sie eine gegnerische Murmel ins Jenseits befördern. Elegante Züge der anderen werden hingegen mit der in japan allgegenwärtigen Silbe des Erstaunens kommentiert: Ein langsam ansteigendes „Eeeeh“. 

Das Tac-Spielbrett inklusive der wichtigsten Regeln auf Japanisch

Zum Frühstück am nächsten Morgen gibt es – wie könnte es bei den Deutschen anders sein – natürlich wieder Brot. Zu dem Sauerteigbrot steht nun auch ofenfrisches Rosinenbrot zur Auswahl. Außerdem dürfen sich die Gäste an unserer Siebträgermaschine versuchen und ihren Latte, der auf japanisch mangels geeignetem Konsonanten eher “Ratte” ausgesprochen wird, selbst zubereiten.

Am meisten schlägt aber die Nutella ein. Die Nuss-Nougat-Creme war den Beiden durchaus schon vorher bekannt. Probiert hatten sie sie aber noch nie. Die Begeisterung war so groß, dass wir auf dem anschließenden Spaziergang zum Supermarkt direkt ein Glas als Mitbringsel für die Eltern kaufen mussten.

Der Aufenthalt bei uns endet mit Flammkuchen, den wir der Einfachheit halber als “German Pizza” vermarkten. Von unseren Gästen selbst mit Zwiebeln, Speck und Lachs belegt, schmeckt ihnen das Mittagessen hervorragend. Danach müssen wir auch schon aufbrechen zur Abschiedsfeier des Programms. Zumindest hier in Japan wollen wir ja den Ruf der pünktlichen Deutschen noch ein wenig aufrecht erhalten.

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