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Keime, Käse, Körnerbrot – Zu Besuch in Deutschland

Für mich startete das Jahr mit einem geschäftlichen Trip nach Deutschland. Eine willkommene Gelegenheit für einen frischen Blick auf die Heimat, aber auch ein erster Vorgeschmack auf den sogenannten Reverse Culture Shock – also der Kulturschock den Expats bei Rückkehr in ihre ehemalige Heimat erleben. 

Verstärkt wird dieser Effekt durch den gesellschaftlichen Umgang mit Corona, der ja irgendwie auch Teil der Kultur geworden ist. In dem guten halben Jahr, das wir nun schon in Japan leben, wurden im Westen die Maßnahmen deutlich gelockert, während sich in Japan seit unserem letzten Bericht relativ wenig geändert hat. Dementsprechend ungewohnt war schon am international Terminal des Narita Airports der Anblick von Reisenden, die mehrheitlich keine Maske trugen.

Ich habe grundsätzlich kein Problem mit einer Rückkehr zur Normalität und bin auch eigentlich kein Keimphobiker. Oft stoße ich mich in Japan auch an dem rigiden Festhalten an Infektionsschutzmaßnahmen, von denen einige offensichtlich wirkungslos sind. Bei vorweihnachtlichen Medienberichten darüber, dass jeder 10. Einwohner Deutschlands zu diesem Zeitpunkt krank war, stellte sich mir aber schon die Frage, warum man nicht ein Minimum an Infektionsschutzmaßnahmen beibehält. Nieß-und Hustetikette scheint vielfach schon wieder in Vergessenheit geraten, in Kombination mit dem langsam wieder etablierten Hände schütteln ein potente Kombination, die mich Sehnsüchtig an die in Japan omnipräsenten Desinfektionsmittelspender denken lässt. 

ÖPNV in Stuttgart (k)ein Vergleich mit Tokyo

Am Flughafen Stuttgart erwartete mich die nächste Überraschung. Eigentlich wollte ich vor der Bahnfahrt zum Hotel noch kurz ums Eck verschwinden. In Japan wäre dies auch nie ein Problem, denn ein (sauberes!) öffentliches Klo ist eigentlich immer in der Nähe.

Jedoch war das einzig ausgeschilderte Klo zwischen Ausgang und Bahngleisen abgesperrt und ich wurde vom mürrischen Reinigungspersonal angeknurrt mir keine Hoffnungen zu machen, dass sich daran in der nächsten halben Stunde etwas ändern würde. 

Also runter zu den Gleisen. Dort hieß es dann Koffer schleppen, denn wer braucht am Flughafen schon einen funktionierenden Fahrstuhl oder eine Rolltreppe?

Die S-Bahn lieferte natürlich stabil ihren Beitrag zu diesem Artikel, als die it. Fahrpläne nächste der ohnehin schon nicht üppig fahrenden Bahnen aufgrund des hohen Krankenstandes ausfiel. Irgendwann brachte mich trotz dieser Schwierigkeiten die Bahn dennoch zum Hauptbahnhof. Dann nur noch kurz mit geschlossenen Nasenflügeln und der Bosch Reisesicherheitsschulung im Hinterkopf durch die Unterführung laufen und schon konnte ich ins Hotel einchecken.

Trotzdem frage ich mich warum wir uns in Deutschland damit zufrieden geben, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel eine solch unangenehme und unzuverlässige Erfahrung sein kann. 

Auch als Fußgänger fällt mir umso deutlicher auf, welche Wartezeiten und Umwege einem an Kreuzungen zugemutet werden – undenkbar in Tokyo, wo man ganz klar verstanden hat, dass ein Verkehrsinfarkt unausweichlich ist, wenn die ganzen Fußgänger und Bahnfahrer aufs eigene Auto umsteigen würden. 

Aber genug der Beschwerden (fürs erste jedenfalls… später die Woche reise ich allerdings noch mit dem ICE…).

(Beinahe) lukullische Genüsse am Frühstücksbüffet

Am Hotel gab es eigentlich nichts zu meckern. Ein Hotelzimmer in dem man die Arme ausstrecken kann ohne die Wände zu berühren, ein Hotelfrühstück mit Brötchen und Käse statt Natto und gebratenem Fisch – hier fällt die Rückgewöhnung nicht schwer. 

Nur das Klo auf dem Zimmer kam mir bis zum Ende des Aufenthaltes doch etwas rustikal vor im Vergleich zu unserem Japanischen High-Tech-Thron. Ob die Deutschen sich wohl jemals auf ein Upgrade zur Standard Keramikschüssel einlassen werden?

Allgemein kommt mir die Stadt sehr leer vor. Fast wie ein Urlaub in einem idyllischen Dorf. Auch der morgendliche Weg im Büro ist schon irgendwie entspannter wenn man sich nicht schon auf dem Weg zum Bahnhof durch größere Mengen Pendler drängeln muss. Da kann man die Unpünktlichkeit der Bahnen schon fast verschmerzen. 

Im Büro wurde mir anhand der Reaktionen der Kollegen bewusst, wie sehr sich meine Körpersprache schon japananisiert hat. Jede Begrüßung und Verabschiedung geht mit einer leichten Verbeugung einher, ohne dass ich es unterdrücken könnte.

Während sich die Kollegen darüber amüsierten, freute ich mich hingegen über die Linsen und Spätzle in der Kantine.

Sänk ju for träweling

Dieser neugewonnene Zustand innerer Ruhe und Zufriedenheit sollte anhalten bis es Zeit war mit dem ICE von Stuttgart zur Familie in Berlin zu nehmen. Wo ich früher auf jeder Bahnreise für mich akzeptiert hatte, dass Ankunftszeiten um Himmelswillen nur als ungefähre Richtlinien verstanden werden wollen, stellen sich mir nun, mit dem japanischen Shinkansen im Hinterkopf, den nur größere Naturkatastrophen ungeplant zum halten bringen, doch einige Fragen: 

Warum stehen wir jetzt schon 8 Minuten länger als geplant in Stuttgart?

Warum stehen wir plötzlich mitten in der Wallachei?

Warum stehen wir jetzt schon wieder so lange am Bahnhof Frankfurt?

Und trotz all dieser Stops bleibt es am Ende bei 10 Minuten Verspätung… man fragt sich in welcher Zeit der ICE die Strecke abfahren könnte wenn die deutsche Bahn es mal wirklich versuchen würde. 

Die Strecke Stuttgart-Berlin (510km) ist übrigens fast genauso lang wie die Strecke Tokyo-Kyoto (515 km). Der schnellste ICE braucht 5h41min (wenn nichts dazwischen kommt) der Shinkansen braucht 2h12min. Dass die deutsche Bahn hier nur alljährlich gelobt Unpünktlichkeit zu reduzieren wirkt im Vergleich doch reichlich dürftig. Vielleicht sollten wir als Land anfangen uns höhere Ziele zu stecken?

Ein überraschender Unterschied war auch, dass quasi überall das Bezahlen mit der Touch-Funktion der Karte funktioniert. Im eigentlich so fortschrittlichen Japan hatten wir uns eigentlich schon abgewöhnt dies überhaupt zu versuchen. 

Beim Bezahlen lauerte dafür eine andere Stolperfalle. In Japan ist nämlich das geben von Trinkgeld völlig unüblich, woran man sich schnell gewöhnen kann. So musste ich jedes Mal wenn ich auswärts aß meine Freunde bitten mich, falls nötig, daran zu erinnern, dass man in Deutschland üblicherweise Trinkgeld gibt.

Auf Wiedersehen BER

Blick vom Foodcourt des BER

Der Deutschland-Trip endet für mich am Flughafen BER. Ein bisschen neugierig war ich ja schon auf den Flughafen, der so lange hat auf dich warten lassen. Schön ist er geworden und die klassische Berliner Schnauze des Personals an der Sicherheitskontrolle wird mir zurück in der neuen Heimat mit Sicherheit fehlen. 

Am Ende ist man als Expat um eine zweite Heimat reicher, dafür bleibt aber auch immer ein klein wenig Heimweh zurück. Immerhin konnte mich der Schnupfen aus Deutschland noch die ganze darauffolgende Woche an den Besuch erinnern.

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