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Kirschblüte in Kawazu

Mein erster Kontakt mit der Kirschblüte fand lange vor der Abreise nach Japan statt. Im Frühjahr des letzten Jahres brachte Ritter Sport eine entsprechende, rosafarbene Sonderedition “Konnichiwa” heraus, die Karin und ich kurzerhand zu unserem Universal-Gastgeschenk erklärten.

Sonderedition Konnichiwa

Also bin ich im Juni mit ein paar Dutzend Schokoladentafeln im Gepäck nach Japan geflogen. Die Kirschblüte hielt ich damals für ein schrulliges Detail, das mir nun höchstens Probleme mit dem Zoll bereiten würde.

Eine Vorahnung zu der wahren Bedeutung dieses Ereignis’ bekam ich, als noch im Dezember eine Eilmeldung des öffentlich-rechtlichen Senders NHK über die Agenturen lief: „Die erste Kirschblüten-Prognose ist da!“ Im Fernsehen diskutierten daraufhin “Experten” – korrekt gegendert, wie eigentlich immer in Japan – leidenschaftlich, ob es in Tokyo wirklich schon am 29. März soweit sein wird. Und ob die Prognose für Sapporo mit dem 18. April nicht etwas pessimistisch ist. Wohlgemerkt, diese Daten lagen damals noch mehr als drei Monate entfernt.

Auch in den Schaufenstern und Eingangsbereichen der Shoppingmalls bestimmt die Kirschblüte seit dem Jahreswechsel die Motive. Die Plastik-Tannenbäume und Lichterketten wurden nach einem kurzen Intermezzo mit Neujahrs-Bambus-Gestrüpps in der ersten Januarwoche durch die passenden Plastik-Zweige und -Blüten ersetzt.

Kirschblüten-Deko im Elektronikmarkt

Lange bevor ich mental darauf vorbereitet war, kam am vergangenen Mittwoch der Anruf: Es geht los. In Kawazu auf der Izu-Halbinsel. Die Plätze im Sonder-Express sind schon fast ausgebucht. Also machen wir uns am Tag darauf, dem Kaiser-Geburtstag frühmorgens auf den Weg. Und sind nicht allein.

Nach gut zwei Stunden Fahrt flutet der vollbesetzte Zug mit seinen zehn Waggons den kleinen Küstenort. Elf Monate im Jahr ist hier der Hund begraben. Aber im Februar bringt die endemische Kawazu-Kirsche mit ihrer äußerst frühen Blüte riesige Touristenströme.


Die meisten Japaner sind dem Alkohol ganz und gar nicht abgeneigt. Dass aber Menschen aus der Mitte der Gesellschaft schon am Vormittag mit einer Dose Whiskey-Cola am Busbahnhof sitzen, ist dann doch eine neue Erfahrung.

Mit tausenden ziehen wir von dort den Fluss entlang, der von Kirschbäumen gesäumt ist. Im Alltag hat das Smartphone den Fotoapparat längst verdrängt. Aber heute hängt um jeden zweiten japanischen Hals wieder eine der ehemals “typischen” Spiegelreflexkamera, um die Schönheit und Vergänglichkeit festzuhalten.

Dort, wo am Wegesrand kein Kirschbaum steht, sind Verpflegungsstände aufgebaut. Gegrillte Spieße, gebratene Nudeln, geräucherter Fisch, gefüllte Teigbällchen und natürlich Okonomiyaki stärken die Massen auf ihrem kilometerlangen Marsch.

Als sich am späten Nachmittag die Sonne senkt, steigen wir wieder in den Sonderzug. Aber nach der Kirschblüte ist vor der Kirschblüte. Denn seit Wochen wird im Büro darüber diskutiert, wo das diesjährige Hanami (“die Blüten anschauen”) stattfinden soll – ein feucht-fröhliches Picknick unter den blühenden Bäumen. Die Entfernungen zum Büro (Startpunkt), dem nächsten Eki (Rückreise) und Konbini (Alkohol-Nachschub) werden ausgelotet und abgewogen.

Während der Ort also noch Teil der Debatte ist, steht das Datum natürlich längst fest: Der 29. März. So sagen es die Experten.

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